Ein Leben in Bombenstimmung

16 11 2012

Laos ist das meist bombardierteste Land der Welt. Im Zuge des Vietnamkriegs (1964 – 1973) wurden hier etwa 270 Millionen Bomben abgeworfen. Vor allem in den ländlicheren Gebieten im Osten gehört es zum Alltag, dass noch nicht explodierte Bomben gefunden werden. Für viele Menschen stellen sie gar die Hoffnung auf bessere Zeiten dar.

Die meisten Menschen mit durchschnittlicher historischer Bildung sind über den Vietnamkrieg mehr oder weniger gut informiert. Was dieser jedoch für „Nebenschauplätze“ in benachbarten Staaten hatte, war mir bisher völlig unbekannt. Auch (oder gerade weil) es erschreckende Wahrheiten sind, möchte ich euch diese nicht vorenthalten:

Laos war Opfer von knapp 600.000 Bombardierungsmissionen, was einer Bombardierung aller 8 Minuten über einen Zeitraum von 9 Jahren entspricht. Vor allem sogenannte „cluster bombs“ (Streumunition) kamen dabei zum Einsatz: Clusterbomben sind große Geschosse, die sich nach Abwurf noch in der Luft öffnen und kleine Bomben freigeben, die dann ihren Weg zum Boden finden. Jede der großen Clusterbomben enthält bis zu 680 kleine Bomben, welche etwa die Größe einer Handgranate haben. Wiederum jede davon hat einen Tötungsradius von 30 Metern. Schätzungen haben ergeben, dass allein eine einzige der auf Laos abgeworfenen Clusterbomben bereits die Kraft hatte, um eine Fläche von 3 Fußballfeldern zu zerstören.

Knapp ein Drittel aller abgeworfenen Sprengkörper explodierte beim Aufprall jedoch gar nicht. Dementsprechend befanden sich nach Ende der Bombardierungen noch immer etwa 80 Millionen nicht explodierte Clusterbomben auf laotischem Gebiet. Durch die im Boden lauernde Gefahr wurden auch nach Kriegsende mehr als 20.000 Menschen getötet oder schwer verletzt, sodass sie meistens Arme oder Beine verloren.

Unfälle mit Sprengkörpern passieren meist wie folgt:

  • Handel mit oder Suche nach Metallschrott (24 %)
  • Landwirtschaft (22 %)
  • Waldarbeiten (14 %)
  • Entzündung von Feuer in Haushalten, z.B. beim Kochen (12 %)
  • Spielen mit Metallschrott (11 %)

Für den Verkauf von 1 kg Metallschrott erhält man etwa 20 Cent, was in Laos jedoch einen deutlich höheren Wert als in Europa hat. Schrottsammler können somit das 4-fache eines durchschnittlichen laotischen Monatsgehalts verdienen. Dementsprechend ist der Handel mit Überresten des Krieges ein florierendes Geschäft. Mit speziellen Metalldetektoren suchen manche Menschen illegal nach dem erhofften Glück. Die anschließende Arbeit mit der Schaufel ist ein Spiel mit dem Leben.

Oft sind aber auch Kinder betroffen, die in der Natur über ein Stück Metall stolpern. Der Reiz des von den Eltern verbotenen Spiels mit unbekannten Gegenständen ist groß. So erging es auch Peter Kim, den ich in Vientiane (Hauptstadt von Laos) im Cope getroffen habe. Cope steht für „Cooperative Orthotic and Prosthetic Enterprise“ und ist eine gemeinnützige Organisation, die Kriegsopfern hilft, u.a. durch die Bereitstellung von Orthesen und Prothesen. Gleichzeitig fungiert Cope als eine Art Museum, das mich unter anderem mit diversen oben genannten Statistiken schwer beeindruckt hat. Noch beeindruckender war jedoch der Umgang von Peter Kim mit seiner Situation: Er verlor beim Spiel mit einer Bombe beide Hände sowie sein Augenlicht. Dennoch erhält er sich die Lebensfreude und hilft dem Cope u.a. durch das Sammeln von Spenden. Auf youtube ist ein Video von Peter Kim bei einem Treffen mit Hillary Clinton im Cope verfügbar (http://www.youtube.com/watch?v=vvRflB85dGU).

Übrigens findet man die USA nach wie vor nicht einer Liste der (etwa 100) Staaten der Welt, die den Einsatz von Clusterbomben in Kriegen mittlerweile geächtet und entsprechende Erklärungen des Verzichts unterzeichnet haben. Der Verzicht auf Clusterbomben soll vor allem die schon beschriebenen permanenten Gefahren für die Zivilbevölkerung auch nach Kriegsende verhindern. Letzten Endes stellt sich aber die Frage: Ist es „besser“ andere Arten von Bomben einzusetzen? Welche Rechtfertigung existiert für Kriegshandlungen generell? Als ich mich heute Morgen mit einem israelischen Backpacker unterhalten habe, erzählt er mir, dass sein Vater vom Militär gerade erst gefragt wurde, wo denn sein Sohn stecke…

Auch wenn es natürlich furchtbar sentimental klingt: Aber wir können uns wirklich glücklich schätzen in einem seit vielen Jahren friedlichen Deutschland zu leben.

Diese Skulpturen wurden zum größten Teil aus Clusterbomben gebaut (500 kg Metallschrott).

 

Wer sich über den Blogeintrag hinaus für das Thema interessiert…

… dem kann ich den Dokumentarfilm „Bomb Harvest“ (freier Trailer unter http://www.bombharvest.com/) sehr empfehlen, den ich mir im Cope angesehen habe. Wer doch lieber auf deutschsprachiges frei verfügbares Filmmaterial zurückgreifen will, findet hier einen Dokumentarfilm, der auf ARTE ausgestrahlt wurde:

 

 



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