Sport frei!

8 12 2012

Gemeinsam Sport im Freien zu treiben, ist in Vietnam sowie in den angrenzenden Ländern eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Vielfach treffen sich Menschen an öffentlichen Plätzen, um ihren sportlichen Hobbys nachzugehen. Auch ich habe mich hier und da dazugesellt.

Wie in Deutschland noch nicht erlebt, finde ich hier nicht selten eine Gruppe von dutzenden Menschen, die im Park zur passenden Musik gemeinsam Aerobic machen. Mit einem erstaunlichen Selbstbewusstsein nimmt Jung wie Alt daran teil, obwohl lange nicht alle Bewegungen synchron sind. So hat sich schon bei manchem Abendspaziergang ein Grinsen auf mein Gesicht gelegt. Wenn ich während des Beobachtens noch eine leckere Portion Straßenessen vertilge, ist das ein schwer zu überbietendes Erlebnis. Wer jetzt denkt „Zugucken kann ja jeder… selbst ist der Mann!“ hat natürlich völlig Recht. Jedoch wurde ich bei Temperaturen jenseits der 30 Grad und vielen sich bietenden Erfahrungen, die ich zu Hause nicht sammeln kann, tatsächlich etwas sportfaul. Was ich dagegen getan habe, erfahrt ihr in den folgenden drei Kurzgeschichten, die natürlich auf wahren Begebenheiten basieren 🙂

 

1) Im Zentrum von Hanoi befindet sich der Hoan-Kiem-See, um den herum viele Vietnamesen ihre täglichen Fitnessübungen absolvieren. So bereiten sie sich frühmorgens auf den Tag vor oder lassen ihn später am Abend ausklingen. Um dem Großstadtdschungel zu entkommen, entschließe ich mich in den kühleren Abendstunden die Laufschuhe zu schnüren und ein paar Runden um den See zu drehen. Als ich zum zweiten und dritten Mal an denselben Hanoiern vorbeilaufe, bemerke ich einige lächelnde Gesichter, die sich über meinen Tatendrang freuen. Der Höhepunkt sollte aber noch folgen: Nach der entspannten Laufeinheit entdecke ich, dass am Rande des Sees eine Art Fitnessstudio entstanden ist. Interessanterweise werden die Gewichte und Geräte anscheinend nur für das abendliche Training an diesen Ort gebracht und anschließend wieder entfernt. Als auch ich anfange, ein paar Gewichte zu stemmen, bin ich natürlich die Attraktion für einige Vietnamesen. Als die sich langsam daran gewöhnt haben und mit mir gemeinsam Übungen absolvieren, denke ich aber, ich gucke nicht richtig. Da kommen doch so ein paar Touristen daher und machen unter anderem Fotos davon, wie ich trainiere. Nicht, dass ich nicht fotogen bin, aber manche Touris müssen auch wirklich alles ablichten. Nun gut: Es ist halt ein ungewohntes Bild als einziger Westlicher unter vielen Vietnamesen in einem Outdoor-Fitnessstudio.

 

2) Ich genieße das Abendessen gemeinsam mit zwei Schweden in einem Restaurant auf Cat Ba Island. Plötzlich gesellt sich ein Vietnamese zu uns und beginnt meinen Nacken zu massieren. Nach einem anstrengenden Tag der Inselerkundung hätte mir allerdings nichts Besseres passieren können: Quasi zwischen Hauptgericht und Dessert werden in 30 Minuten mal eben sämtliche Verspannungen gelöst… ein Traum! Die zwei Euro hatte sich der Mann wirklich verdient. Aus sportlicher Sicht wird es aber erst interessant, als seine Visitenkarte ihn als Masseur und Kung-Fu-Meister ausweist. Wir werden neugierig, fragen nach und am Ende vom Lied stehen wir am nächsten Morgen um 6:00 Uhr auf dem Hafenvorplatz von Cat Ba Town und versuchen uns im Tai Chi mit ein paar Einheimischen. Nach ein paar Lockerungs- und Dehnübungen, die ich (und das sollte auch so sein) noch ganz gut beherrsche, kommt die wahre Herausforderung: Zu fernöstlichen Klängen aus dem Ghettoblaster versuche ich unter größter Konzentration die Bewegungen der vor mir stehenden Vietnamesen zu imitieren… ein unmögliches Unterfangen! Freue ich mich nur eine Sekunde, dass die Mehrheit meiner Extremitäten dieselben Bewegungen wie meine gegenwärtigen Vorbilder macht, fehlt meist schon ein Tick an Aufmerksamkeit. Die kommende halbe Minute bin ich dann damit beschäftigt, meine Glieder wieder in die momentan angesagte Position zu bringen. Dass ich mich zuvor in eine der hinteren Reihen eingeordnet hatte, war eine goldrichtige Entscheidung. Während ich also mein Bestes gebe, entdecke ich nicht weit entfernt den Kung-Fu-Meister vom Vorabend: an einem Laternenpfahl in Kopfstandposition auf dem blanken Boden mit vor der Brust verschränkten Armen, waaaaaaaah! Die etwa einstündige Tai-Chi-Einheit endet übrigens recht locker: Ich tanze mit einer geschätzt 60-70-jährigen Einheimischen oder besser gesagt: Sie tanzt mit mir. Der Riesenspaß könnte ein Cha-Cha-Cha gewesen sein, wobei in diesem Fall eindeutig die Frau geführt hat. Am Ende bin ich aber froh, ihr auch noch was beibringen zu können: Den guten alten Discofox („1, 2, step“) beherrsche ich glücklicherweise noch. Leider existiert von sämtlichen an dem Morgen stattgefundenen Aktivitäten auf dem Hafenvorplatz keinerlei Beweismaterial fotografischer Art. Und wenn ich meine Fähigkeiten beim Tai Chi nochmal überdenke, ist das vielleicht auch ganz gut so.

 

3) Als ich eines Abends die mit Lampions geschmückten Gassen von Hoi An mit einem Spaziergang erkunde, höre ich ein mir seit 18 Jahren bekanntes Geräusch: klick, klack, klick, klack, klick, klack – das wird doch wohl nicht…?! Oh doch, ich täusche mich nicht: Hier wird Tischtennis gespielt. Neugierig luge ich in die Sporthalle, wobei hier übrigens Badminton und Tischtennis meist parallel in einer Halle trainiert wird. Nach zunächst zugegebenermaßen verständlich skeptischen Blicken – mit Kamera in der Hand und Flip-Flops an den Füßen verkörpere ich sicherlich den Prototyp des modernen Touristen – darf ich dann doch ein paar Bälle spielen: ein tolles Gefühl nach mittlerweile einiger Zeit Tischtennisabstinenz. Ich freue mich jetzt schon darauf, in Deutschland mal wieder gegen die kleine weiße Kugel zu hauen, jedoch mit besseren Bedingungen als an besagtem Abend in Hoi An: mit geliehenem 3-Euro-Schläger, wahlweise auf Flip-Flops oder barfuß durch die Halle rutschend – ich weiß immer noch nicht, was von beiden die schlechtere Alternative ist – habe ich gegen meine Widersacher wortwörtlich keinen guten Stand. Die Einladung am nächsten Tag wiederzukommen nehme ich natürlich wahr, diesmal mit festem Schuhwerk. Neben einem deutlich erhöhten Spaßfaktor zeige ich jetzt auch mehreren Spielern nacheinander, wo der Frosch die Locken hat. Nach jedem Duell werde ich aufgefordert gegen wen anders zu spielen und irgendwann spüre ich ganz klar: Die Vietnamesen schicken gerade ihr stärkstes Pferd ins Rennen. Es werden mehrere Smartphones gezückt, um das Spiel gegen diesen fremden Deutschen für die Ewigkeit festzuhalten. Das Match hat tatsächlich sehenswerte Ballwechsel zu bieten und eigentlich keinen Sieger verdient – ich war der Glücklichere. Nicht anders als in Deutschland gibt es hinterher ein gemütliches Zusammensein bei ein paar Bier. Dabei lerne ich die wichtige 50-Prozent-Regel kennen: Das Bier wird aus Dosen immer in Gläser zum Trinken nachgefüllt. Angestoßen werden darf aber nur, wenn das Glas mindestens zu 50 % gefüllt ist. Diese Regel gepaart mit der Tatsache, dass gefühlt alle 2 Minuten jeder mit mir und allen anderen mit einem kräftigen „Jo!“ anstoßen will, führt zu vielen leeren Bierdosen 😉 Der Höhepunkt der Gastfreundlichkeit ist aber noch nicht erreicht: Noch am Abend werde ich gefragt, ob ich denn nicht Lust hätte, am nächsten Tag mit zwei Spielern nach Danang zu fahren. Das liege 45 Motorradminuten entfernt und sei das Tischtenniszentrum von Zentralvietnam. Natürlich habe ich Lust: Am nächsten Morgen werde ich von meinem Hostel von Vu und Pan abgeholt: Rauf aufs Motorrad und ab nach Danang, wow! Dort läuft dann die Vorstellung meist ähnlich ab: „Timo from Germany… but not Timo Boll!“ 🙂 Nun bekomme ich von einigen der besten Spielern Zentralvietnams allerdings wirklich meine Grenzen aufgezeigt. Dennoch ist das Fotoshooting hinterher unvermeidlich. Ein deutscher Tischtennisspieler kommt schließlich nicht jeden Tag vorbei. Mit einem gemeinsamen Mittagessen (und Bier) findet der Tag dann seine Fortsetzung. Auch wenn es hier und da immer mal wieder eine Sprachbarriere gibt, muss ich dennoch glasklar sagen: Sport verbindet – auch über verschiedene Länder, Sprachen und Kulturen hinweg.

 

Vietnamesen bei Fitnessübungen, in der Gruppe oder allein:

Der Hoan-Kiem-See in Hanoi:

Ein „Outdoor-Fitnessstudio“ im Park:

Impressionen vom Tischtennis – beim und nach dem Spiel:

 

Noch eine Randnotiz zum Thema passivem Sportkonsums:

Wie in Deutschland und Europa nicht anders, ist Fußball auch hier für viele die Sportart Nummer Eins – aktiv wie auch passiv. Interessanterweise sind die meisten jedoch kaum an den heimischen Ligen interessiert, vermutlich aufgrund des geringen Niveaus. Dafür weiß jeder über die englische Premier League Bescheid. Das hatte mich in Afrika schon verblüfft und scheint in vielen Ländern der Welt so zu sein. Vor allem Kinder sind hier stolz wie Oskar, wenn sie ein Trikot von Chelsea oder ManU tragen.



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3 Antworten zu “Sport frei!”

  • Ellen sagt:

    Hallo Timo, (Boll?/Ball?)- herrlich. Selten so gelacht. Vorschlag: Biete hier Tai Chi im Heine Park-wenn du zurück bist- an. Mal sehn, wer da so kommt?!;)Jo, jo, klingt gut und erinnert beim Blick aus dem Fenster hier eher an ho, ho…
    Nimm vor allem jede Massage mit- Neidfaktor 100+, einfach so und das für 2€! Go on enjoying your time over there.
    Hugs. Ellen & Co 🙂

  • Susanne sagt:

    He Timo, du Checker!
    Du machst ja Sachen…voll lustig! Du machst das aber richtig, einfach überall mitmachen, du würdest auch ohne mitmachen angestarrt werden! Diese kollektive und öffentliche Gymnastik gab es auch inmitten von Bankok, als ich dort war.
    Ich wünsche dir ein fantastisches neues Jahr mit vielen weiteren Abenteuern auf deiner Reise!
    Viele Grüße,
    Sushi

  • Stephan sagt:

    Hej Timo!
    Danke für die Kurzgeschichten, herzlich gelacht!
    Lieben Gruß

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